Nachgefragt bei Jörn Harde: Eine voll-digitalisierte Infrastruktur ist nicht nur Zukunftsmusik
Unsere Strassen sind gut ausgebaut, unsere Züge fast immer pünktlich. Die Schweiz konnte in der Vergangenheit stolz auf ihre Infrastruktur sein. Doch wie sieht die Infrastruktur der Zukunft aus? Jörn Harde, CFO von Siemens Schweiz, gibt Antworten darauf, wie wir anstehende Herausforderungen meistern können.
Es gibt kaum sichtbare Stromleitungen, Schlaglöcher in den Strassen werden schnell gestopft und die Züge sind pünktlich. Die Schweizer Infrastruktur kann sich sehen lassen. Aber auch sie wird älter und müsste erneuert werden. Herr Harde, Sie sind CFO der Siemens Schweiz und beschäftigen sich unter anderem mit Mobilität und Infrastruktur. Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen, die im Bereich der Mobilität – in der Schweiz und international – anstehen?
Jörn Harde: Einerseits ist es eine grosse Herausforderung, das Strom- und das Ladenetz sicher und nachhaltig auszubauen, dass es dem schnellen Wachstum der Elektrofahrzeuge gewachsen ist. Andererseits müssen wir den öffentlichen Verkehr gezielt stärken und genügend Mittel zur Verfügung stellen, dass er effizienter wird und dadurch die Strasse entlasten kann.
Siemens gestaltet Zukunft, heisst es auf der Website des Unternehmens. Neben den Themen Mobilität, Energie und Infrastruktur spielt dabei auch die Digitalisierung eine zentrale Rolle. Welchen Beitrag kann die Digitalisierung leisten, um die angesprochenen Probleme in der Infrastruktur zu beheben oder zumindest zu mildern?
Jörn Harde: Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Herausforderungen nur mit digitalen Lösungen zu meistern sind. Die Kapazität von Personen- und Güterzügen lässt sich steigern, wenn mehr Züge in engeren Abständen auf den Schienen fahren können. Dies erreichen wir durch noch effizientere, digitale Leit- und Sicherungstechnik, sowie Automatisierungslösungen. Zusätzliche Bahnstrecken sind in der Schweiz kaum mehr realisierbar, aber die «digitale Schiene» ermöglicht hier einen effektiven und sinnvollen Kapazitätsausbau.
Unter digitaler Schiene versteht man die sogenannte Smartifizierung des Güter- und Personenverkehrs. Mit künstlicher Intelligenz und selbstfahrenden Lokomotiven könnte das bestehende Gleisnetz effizienter genutzt werden und es müssten keine neuen Gleise gebaut werden.
Schweizerinnen und Schweizer stehen täglich rund 200’000 Stunden im Stau. Die Alternative sind zu bestimmten Zeiten stark überfüllte Züge. Das scheint das geteilte Schicksal aller Pendlerinnen und Pendler zu sein. Wie sieht Mobilität in den Grossstädten von morgen aus, Herr Harde? Was kann und wird sich in Zukunft ändern?
Jörn Harde: Bis Autos selbstfahrend durch die Städte gleiten, dauert es noch einige Zeit. Aber der emissionsfreie Verkehr wird sicherlich Tatsache. Digitale Assistenzsysteme unterstützen die Autofahrenden, um schnell und effizient von A nach B zu kommen. Der öffentliche Verkehr wird auf geeigneten Strecken mit autonom fahrenden Zügen unterwegs sein. Dank hochautomatisierten Abläufen werden der Personenverkehr und auch der Gütertransport in Zukunft noch effizienter und umweltfreundlicher. Meiner Meinung nach werden neue Mobilitätskonzepte wie Sharing-Angebote, On-Demand Services oder Fahrgemeinschaften zum Standard gehören. Mittels Kombination von öffentlichem Verkehr und der Einbindung von neuen gemeinsamen Mobilitätsdiensten, wird das sogenannte intermodale Reisen zukünftig noch nahtloser und nachhaltiger.
Jörn Harde ist seit 2018 CFO von Siemens Schweiz.