Ein Rendez-vous zwischen Christoph Meier von Nestlé und Marianne Sicher Bucher von den «58 für die Schweiz»

Marianne Sicher Bucher leitet Sportkurse für Angehörige der Universität und ETH Zürich, Christoph Meier verantwortet die Kommunikation von Nestlé. Bei ihrem Rendez-vous sprechen die beiden über internationalen Warenaustausch und die Verantwortung von Schweizer Unternehmen.

In diesem Gespräch wollen wir auf die Rolle der Schweizer Unternehmen im internationalen Handel blicken. Frau Sicher Bucher, was fällt Ihnen zu dem Thema spontan ein?

Marianne Sicher Bucher: Der Rohstoffhandel, in dem die Schweiz eine starke Stellung hat.

Christoph Meier: Mein eigener Arbeitgeber, Nestlé – und die Menschen aus China, den USA, aus Indien oder Afrika, mit denen ich zusammenarbeite.

Herr Meier, für Sie als Nestlé-Kommunikationschef sind Fragen des Handels quasi das tägliche Brot. Wie sind Sie dazu gekommen?

Christoph Meier: Ich bin seit fünf Jahren bei Nestlé. Vorher war ich 25 Jahre unter anderem für UBS und Credit Suisse in der Kommunikation tätig. Der Wechsel zu Nestlé war für mich eine Supersache. Hier befasse ich mich mit Nahrungsmitteln, die kann man anfassen, schmecken. Meine Arbeit ist sehr vielfältig. Nestlé ist in 188 Ländern präsent. Man wird mit sehr vielen Eindrücken konfrontiert. Mein Büro habe ich am Hauptsitz in Vevey, privat lebe ich mit meiner Partnerin in Montreux. Ich habe zwei Töchter.

«Wir haben gelebte Globalität auf kleinstem Raum.»
Marianne Sicher Bucher, Sportlehrerin

Frau Sicher Bucher, als Leiterin von Sportkursen leben Sie in einer anderen Welt. Was können Sie mit dem Thema Handel anfangen?

Marianne Sicher Bucher: Ich besuchte die Handelsmittelschule in Luzern, bevor ich mit 19 nach Zürich in die grosse Welt kam. Hier stieg ich schnell zur Direktionssekretärin bei der Schweizerischen Bankgesellschaft auf, wie die UBS damals noch hiess. Später war ich bei Betty Bossi in der Produktentwicklung tätig, wo ich Hersteller aus der ganzen Welt kennenlernte. Zudem arbeitete ich bei der Migros im Einkauf für Herrenhemden und bei einem internationalen Kunsthändler. In all meinen Tätigkeiten hatte ich mit Menschen aus vielen Ländern zu tun, so wie Herr Meier bei Nestlé. Das war phantastisch! Die Schweiz ist offen für alle Völker und Nationalitäten. Sie können zu uns kommen und hier arbeiten. Wir haben gelebte Globalität auf kleinstem Raum.

Wenn man in der Osterzeit einkaufen geht, findet man Erdbeeren aus Spanien, Bananen aus Equador, Trauben aus Indien. Handel macht es möglich, dass wir Produkte aus der ganzen Welt konsumieren können. Frau Sicher Bucher, achten Sie darauf, woher Lebensmittel kommen?

Marianne Sicher Bucher: Ich und mein Mann leben mit unserer 17jährigen Tochter in Zürich und in Engelberg. Wenn wir in Engelberg sind, essen wir nur Eier vom lokalen Bauern. Kommen Fleisch und Käse auf den Tisch, müssen das Schweizer Produkte sein. Wenn jetzt zu Ostern bereits Erdbeeren angeboten werden, muss ich den Kopf schütteln.

«Frischprodukte im Flugzeug um die Welt zu transportieren, finde ich problematisch.»
Christoph Meier, Kommunikationschef Nestlé

Christoph Meier: Ich achte auch auf die Herkunft der Lebensmittel. Persönlich mag ich zum Beispiel Spargel. Der weisse Spargel, der aktuell angeboten wird, kommt aus Spanien oder Italien. Das ist für mich zu dieser Jahreszeit noch vertretbar. Kommen die Spargeln aus Peru oder Mexiko, lasse ich sie im Laden liegen. Frischprodukte im Flugzeug um die Welt zu transportieren, finde ich problematisch.

Ist die Hinwendung zu regionalen Produkten ein allgemeiner Trend?

Christoph Meier: Ich denke schon. Allerdings achten viele Menschen im Moment auf erschwingliche Lebensmittel. Bei uns in der Westschweiz schliessen deshalb gerade viele Hof- und Bioläden. Regional einkaufen hat dort seine Grenzen, wo gewisse Dinge in der Schweiz nicht wachsen, zum Beispiel Kaffee. Hier kommt mein Unternehmen zum Zug: Nestlé importiert Bohnen aus den Tropen und verarbeitet sie in drei Westschweizer Fabriken zu Nespresso-Kapseln. Ich persönlich probiere ab und zu auch gern was Neues aus, vielleicht mal einen Kaffee aus Uganda. Diese Neugierde haben wohl die meisten Konsumenten.

Herr Meier, Nestlé ist weltweit tätig. Wie sollte der internationale Handel aus Ihrer Sicht idealerweise ausgestaltet sein?

Christoph Meier: Wir sind auf freien Handel angewiesen. Leider sind protektionistische Massnahmen populär, das ist eine bedauerliche Entwicklung. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auf einen weniger bekannten Aspekt hinweisen: Ein grosser Teil der Nestlé-Produkte braucht keinen internationalen Handel, weil sie dort aus lokalen Ausgangsstoffen hergestellt werden, wo sie später auch konsumiert werden. Kaffee und Kakao sind also Ausnahmen. In vielen Ländern wird Nestlé als lokales Unternehmen wahrgenommen. Maggi-Würfel zum Beispiel gelten vielerorts als eine traditionelle Zutat aus dem eigenen Land, wo sie tatsächlich auch hergestellt werden.

Handel bedeutet, ein Rohstoff oder ein Produkt wird von A nach B transportiert. Der Kakao, von dem Herr Meier gesprochen hat, kommt vielfach von der Elfenbeinküste in die Schweiz. Da stellt sich die Frage, wer verantwortlich ist für schlechte Arbeitsbedingungen oder Umweltschäden in den Herkunftsländern.

Marianne Sicher Bucher: Eine interessante Frage! Nestlé wird durch die Medien leider gern in ein schlechtes Licht gerückt. Gewisse Kreise werfen dem Unternehmen vor, es mache auf Kosten der Menschen in armen Ländern Gewinn. Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Unternehmen wie Nestlé beleben die Wirtschaft dieser Länder. Sie geben den Menschen Arbeit, damit sie sich Essen kaufen und sich ein Haus bauen können.

Ich vertraue Nestlé, dass es die Angestellten menschlich behandelt und faire Löhne bezahlt. Sicher herrschen in gewissen Ländern schwierige Arbeitsbedingungen, etwa durch Hitze oder Kälte. Nicht alle Menschen können in einem superschön eingerichteten Büro arbeiten wie in der Schweiz. Aber ich habe Mühe, wenn man auf Nestlé herumhackt. Die betroffenen Länder selbst sind genauso in der Verantwortung wie ein Arbeitgeber.

«Ich vertraue Nestlé, dass es die Angestellten menschlich behandelt und faire Löhne bezahlt.»
Marianne Sicher Bucher, Sportlehrerin

Christoph Meier: Ich war im letzten November in der Elfenbeinküste. Schweizer und internationale Unternehmen verkaufen Kakao an Unternehmen wie Nestlé. Wer dort arbeiten kann, auf den trifft wahrscheinlich zu, was Frau Bucher gesagt hat: Die Beschäftigten arbeiten gern in den Fabriken von Schweizer Unternehmen. Da haben sie eine gewisse Sicherheit.

Aber es gibt tatsächlich auch riesige Probleme. Viele Kakaobauern leben in Armut. Leider sind die Verhältnisse sehr unübersichtlich. Das beginnt schon bei der Frage, woher die Kakaobohnen überhaupt kommen. Man fährt vier Stunden aufs Land raus, kommt dann zu einer Plantage, ohne dass man weiss, wo sie anfängt und wo sie genau aufhört – und wem sie gehört. Es ist nicht ganz einfach, unter solchen Umständen die Dinge zum Besseren zu wenden.

Trotzdem gilt: Als Schweizer Unternehmen dürfen wir nicht wegschauen, wir müssen hinschauen. In der Elfenbeinküste wird seit ungefähr 100 Jahren Kakao angebaut. Die landwirtschaftlichen Methoden waren lange Zeit rudimentär, die Erträge gering. Statt immer neue Wälder für Kakaoplantagen abzuholzen ist es sinnvoller, den Ertrag pro Baum zu erhöhen, indem man diese regelmässig zurückschneidet. Wir unterstützen dieses Vorgehen mit Schulungen und leisten Anschubfinanzierungen.

«Als Schweizer Unternehmen dürfen wir nicht wegschauen, wir müssen hinschauen.»
Christoph Meier, Kommunikationschef Nestlé

Frau Sicher Bucher, Nestlé hat seinen Sitz in Vevey und Cham, ist als Konzern aber auf der ganzen Welt zuhause. Wie denken Sie über dieses Unternehmen?

Marianne Sicher Bucher: Ich persönlich und auch meine Familie sind sehr stolz auf Nestlé. Unsere Schweiz ist ein kleines Land und auf diesem Flecklein gibt es einen Weltkonzern mit globalen Lieferketten, der viele Tausende Arbeitsplätze schafft. Das finde ich gewaltig. Viel Geld fliesst auch in die Forschung, etwa für Babynahrungsmittel. Diese kommt den Menschen in armen Ländern zugute und rettet dort Leben.

Christoph Meier: Es ergreifen mich hier auch Emotionen. Auf dem Nestlé-Hauptsitz in Vevey weht eine grosse Schweizerfahne und zwar jeden Tag. Nur einmal im Jahr weht die Waadtländer Fahne, am Unabhängigkeitstag des Kantons Waadt. Die Schweizerfahne steht für eine offene Gesellschaft. Am Hauptsitz arbeiten Leute aus 100 Nationen, in den Gängen herrscht ein Sprachengewirr aus Englisch, Spanisch, Deutsch, Französisch und Mandarin. Unser Leitspruch ist: Solange die Schweizerfahne auf dem Dach weht, denken wir auch schweizerisch.

Wenn Sie auf dieses Rendez-vous-Gespräch zurückblicken: Was hat Sie an Ihrem Gegenüber besonders beeindruckt?

Christoph Meier: Ich hatte mich vor dem Gespräch auf Kritik an Nestlé eingestellt, so wie ich sie als Kommunikationsverantwortlicher sehr oft erlebe. Jetzt habe ich eine Person kennengelernt, die eine sehr positive Sicht auf unser Unternehmen hat. Das war eine Überraschung! (Lacht.)

Marianne Sicher Bucher: Danke! Ich spüre bei Ihnen, dass Sie sich mit Nestlé, Ihrem Arbeitgeber, identifizieren. Das ist das Schönste, wenn man hinter dem steht, was man tut. Was ich in dem Gespräch gelernt habe: Dass Nestlé in der Produktion stark auf die Verwendung lokaler Ausgangsstoffe achtet. Das freut mich!

Über das Format

«Rendez-vous» ist ein Format, bei dem sich zwei Personen in einem online Meeting über ein Thema austauschen, das für die Zukunft unserer Wirtschaft und damit für die ganze Schweiz wichtig ist. Dabei geht es nicht um einen Schlagabtausch mit wirtschaftspolitischen Argumenten. Ziel ist vielmehr, im gemeinsamen Gespräch die eigene Sichtweise darzulegen, andere Sichtweisen wahrzunehmen und ein gemeinsames Verständnis herzustellen – was nicht bedeuten muss, dass die Gesprächspartner:innen in allen Punkten gleicher Meinung sind.

Das Rendez-vous wird moderiert vom Journalist Benedikt Vogel.