Nachgefragt bei Gabriel Rumo: Die Zukunft der Schweizer Steuerlandschaft
Die aktuelle Besteuerung von grossen, international tätigen Firmen ist nach Ansicht der OECD nicht mehr zeitgemäss. Daher hat sich die internationale Organisation unter anderem entschieden eine internationale Mindestbesteuerung von 15 Prozent für Grossunternehmen einzuführen. Im Juni 2023 stimmt das Volk über die OECD-Mindestbesteuerung ab, welche die Vorgaben in der Schweiz umsetzen soll. Was das bedeutet, erläutert Gabriel Rumo, Direktor von SwissHoldings.
In der Schweiz sind zahlreiche Grosskonzerne angesiedelt. Laut dem Forschungsinstitut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern beträgt der Gewinnsteuersatz in 18 von 26 Kantonen heute weniger als 15 Prozent. Damit war die Schweiz bisher als Standort für internationale Unternehmen attraktiv und profitierte von wachsenden Steuerzahlungen der Unternehmen. Um die OECD-Mindestbesteuerung umzusetzen, muss nun genau diese Rahmenbedingung angepasst werden. Herr Rumo, wie kam die OECD-Mindestbesteuerung zustande?
Gabriel Rumo: Die OECD-Mindestbesteuerung ist eine von zwei Säulen des aktuellen OECD-Projektes, welches die steuerlichen Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung der Wirtschaft angehen will.
Die erste Säule sieht vor, dass Steuereinnahmen von den Hauptsitzstaaten zu den Marktstaaten verschoben werden sollen. Also konkret: Steuern sollen dort gezahlt werden, wo der Gewinn gemacht wird. Die Umsetzung dieser Säule stockt aktuell auf OECD-Ebene.
Die zweite Säule umfasst die hier besprochene OECD-Mindestbesteuerung von 15 Prozent für Grossunternehmen mit mindestens 750 Millionen Euro Umsatz. Die Umsetzung dieser Säule schreitet rasch voran und viele ausschlaggebende Staaten werden sie per 1. Januar 2024 umsetzen.
Diese Abkürzung steht für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die OECD zählt aktuell 38 Mitgliedstaaten aus der ganzen Welt, darunter die Schweiz seit 1961. Sie fördert unter anderem ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und unterstützt die Mitglieder in der Verbesserung des Lebensstandards. Dies tut sie, indem sie den Mitgliedstaaten eine Plattform bietet, um ihre Politik und Erfahrungen zu diskutieren und gegenseitig Input geben zu können.
Die OECD-Mindestbesteuerung sieht vor, dass Grosskonzerne mit mindestens 15 Prozent besteuert werden. Wird der Standort Schweiz damit unattraktiv und werden Unternehmen abwandern?
Gabriel Rumo: Tiefe Steuern sind einer der wichtigen Standortfaktoren der Schweiz im internationalen Wettbewerb um die besten Steuerzahler. Mit der Umsetzung der OECD-Mindeststeuer wird der Standortfaktor Steuern international seine Bedeutung einbüssen. Der internationale Standortwettbewerb wird jedoch nicht verschwinden, vielmehr werden andere Standortfaktoren an Bedeutung gewinnen. Dies klar zugunsten von Staaten mit aktuell hohen Steuern und Investitionen im Bereich anderer Standortfaktoren und zum Nachteil der Schweiz.
Die OECD-Mindeststeuer wird sicherlich nicht zu einem unmittelbaren Exodus von Unternehmen führen. Vielmehr dürfte es aber zukünftige Investitionsentscheide und potenzielle Neuansiedlungen ausländischer Unternehmen betreffen. Damit die Schweiz ihr Erfolgsmodell weiterführen und für unseren Wohlstand entscheidende Investitionen und Unternehmen anziehen kann, ist es wichtig, dass sie die Standortattraktivität weiterhin stärkt.
Falls die Schweiz die Reform nicht umsetzt, dann kann das Ausland die Differenz bis zur Mindeststeuer von 15 Prozent bei den betroffenen Unternehmen eintreiben. Das klingt kompliziert. Wie könnte dieses Szenario aussehen?
Gabriel Rumo: Die Reform ist so aufgebaut, dass sie am Hauptsitz der Unternehmen ansetzt. Sollte die Schweiz die Mindeststeuer nicht umsetzten, dann dürfen, wie sie richtig sagen, im ersten Schritt alle Staaten, in denen das in der Schweiz beheimatete Unternehmen Tochtergesellschaften hat, die direkt dem Hauptsitz unterstellt sind, die Differenz einziehen.
Dies macht aus Unternehmenssicht wirtschaftlich oft wenig Sinn und führt dazu, dass man mit Steuerbehörden in verschiedenen Ländern zusammenarbeiten muss, anstelle nur jener in der Schweiz. Das ist administrativ aufwändig und es besteht zudem ein erhöhtes Risiko für Doppelbesteuerungen. Die Schweiz würde währenddessen auf die gesamten Mehreinnahmen verzichten, aber dennoch ihre Attraktivität bezüglich des Standortfaktors ‘Steuern’ grossenteils verlieren.
Die Umsetzung der OECD-Mindestbesteuerung sieht in der Schweiz eine Ergänzungssteuer vor, die zu einer neuen Einkommensquelle für die Staatskasse führen würde. 25 Prozent der Einnahmen würden zum Bund fliessen. 75 Prozent bleiben bei den Kantonen. Ein Teil der Mittel soll in die Standortförderung fliessen. Ist diese Aufteilung zwischen Bund und Kantonen sinnvoll? Wie werden die Mehreinnahmen eingesetzt?
Gabriel Rumo: Diese Lösung ist ein sinnvoller Kompromiss zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Dieser entspricht dem Subsidiaritätsprinzip der Schweiz und stellt sicher, dass die Kantone über genügend Mittel verfügen, um ihre Standortattraktivität zu stärken.
Sobald absehbar wird, wie hoch die Mehreinnahmen sind, werden diese in jedem Kanton so eingesetzt, wie es für die jeweilige Situation Sinn macht. Dies wird durch demokratische Prozesse geschehen. Ganz grundsätzlich gilt, wenn die Kantone erfolgreich sind, profitieren Bund und die Schweizer Bevölkerung.
Dr. Gabriel Rumo ist Direktor von SwissHoldings, dem Verband der Industrie- und Dienstleistungsunternehmen der Schweiz.