Die Fairness ist der Kern der Einnahmen- und Verteildiskussion

Der Wert Fairness ist ausschlaggebend für die Perspektiven auf die Steuer- und Sozialpolitik

Fairness berührt fast alle Themen im Bereich Wirtschaft und Staat. Dieser Wert spielt eine hervorgehobene Rolle, wenn über den Arbeitsmarkt, die Sozialwerke, die soziale Sicherheit oder über die Steuern gesprochen wird. Aber: Fair ist nicht gleich fair, denn was als fair empfunden wird, variiert meist stark nach Lebenslage und persönlichem Empfinden. Und das, was individuell als unfair empfunden wird, kann aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive durchaus fair sein – so kann beispielsweise eine Erbschaftssteuer individuell als Belastung empfunden werden, gesellschaftlich betrachtet hingegen zur Chancengleichheit beitragen. Eine faire Ausgestaltung der Steuer- und Sozialpolitik gilt als die wohl grösste Herausforderung, zumal sie nicht nur den sozialen Ausgleich leisten, sondern auch direkt-demokratisch legitimiert werden muss.

Die Wahrnehmung des Arbeitsmarkts und der eigenen Situation bilden die Grundlage für das Vertrauen in die Unternehmen und für die Reformbereitschaft

Themen rund um den Arbeitsmarkt bereiten sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene Sorgen. Es geht um die Zuversicht in die persönliche Existenzgrundlage, aber auch um die Bereitschaft, gemeinsam die Mittel für die Umsetzung des Gesellschaftsvertrages und die Gemeinschaftsaufgaben des Staates zu erwirtschaften und zu finanzieren. Dabei stehen Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Löhne im Vordergrund. Besonders im Fokus stehen die Themen Fachkräftemangel und die schlechten Aussichten für ältere Arbeitnehmer:innen – Ü50 –, im Arbeitsmarkt zu bleiben. In der Verantwortung werden hier die Arbeitgeber:innen gesehen. Verstärken sie ihr Engagement hier nicht, wird die Akzeptanz für eine als notwendig erachtete Erhöhung des Rentenalters zur Sicherung der Sozialwerke erschwert.

Die Wahrnehmung eines schwindenden Mittelstands verstärkt die Sorgen rund um die Steuereinnahmen und die soziale Sicherheit

Angesichts einer alternden Bevölkerung und steigender Staatsausgaben für die Bewältigung von Aufgaben in Bereichen wie Klimaschutz oder Verteidigung kommen anspruchsvolle Verteilfragen auf die Politik zu. Das beunruhigt die Bürger:innen – umso mehr, als eine sich vergrössernde Schere zwischen Arm und Reich und ein Schwinden der Mittelschicht u.a. durch stagnierende Löhne und steigende Lebenshaltungskosten wahrgenommen wird. Das weckt Zukunftsängste für Lebensabschnitte, in denen sich Menschen auf die Mechanismen der sozialen Sicherheit verlassen. Selbst Steuererhöhungen, so Teilnehmer:innen, werden die Sicherung der Sozialwerke finanziell nicht sichern.

«Was die Steuern betrifft, so haben wir im Vergleich zu anderen einen sehr niedrigen Steuersatz. Und das ist wunderbar. Aber wir haben viel höhere Ausgaben. Mieten, Krankenkasse und so weiter. Und ich glaube, das relativiert das dann und von daher finde ich das auch ein bisschen Schönfärberei.»
männlich, 71, Links
Die Attraktivität des Steuerstandorts Schweiz für Unternehmen wird als eine wichtige Grundlage für die Lebensqualität anerkannt

Tiefe Steuern und Sozialabgaben werden als Standortfaktor betrachtet, den die Schweiz nicht aufgeben dürfe. Das Steuersystem wird insgesamt als fair und als Erfolgsfaktor bewertet. Als vorteilhaft wird die Anziehungskraft des Steuerstandortes Schweiz für international tätige Unternehmen gesehen. Diese Ansiedlung, so die Wahrnehmung der Teilnehmer:innen, schaffe Arbeitsplätze und generiere zusätzliche Steuereinnahmen, was wiederum zur Lebensqualität und zur Finanzierung der Staatsausgaben beitrage. Im Gegenzug wird von den Unternehmen eine gewisse Verbundenheit zur Schweiz erwartet: Sie sollen am Standort Schweiz festhalten und sich gesellschaftlich engagieren.

Das Vertrauen in die Steuerehrlichkeit von Unternehmen und Steuerzahler:innen wird gleichermassen klein eingeschätzt

Teilnehmer:innen gehen davon aus, dass sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen Steueroptimierung der Normalfall und Steuerehrlichkeit der Sonderfall ist. Das verbreitete «Schummeln» ist unfair, weil Einnahmen verloren gehen, die eigentlich in die Gesellschaft zurückfliessen sollten, um u.a. den gesellschaftlichen Ausgleich zu ermöglichen. Wer ehrlich Steuern zahlt, wird der erwarteten gesellschaftlichen Verantwortung gerecht. Erwartet wird dies eigentlich von beiden Seiten – von den Unternehmen und den Steuerzahler:innen.

Das Einverständnis für den föderalen Steuerwettbewerb ist beschränkt und regt die Gemüter

Obwohl das Schweizer Steuersystem insgesamt gute Noten bekommt, stösst der «Kantönligeist» im Steuerbereich auf Unverständnis, weil für die Steuerzahler:innen die unterschiedlichen Belastungen gleicher Einkommen in Kantonen und Gemeinden weder nachvollziehbar noch vergleichbar sind. Kritiker:innen vermissen einen Mehrwert im kantonalen Steuerwettbewerb. Hingegen wird im Mechanismus des interkantonalen Finanzausgleichs der Vorteil gesehen, dass die Starken die Schwächeren unterstützen.

«C'est que les citoyens, je crois que c'est la responsabilité d'exiger une équité, donc de le dire quand ce n'est pas juste.»
männlich, 43, Mitte
In der Partizipation liegt der Hebel der Bürger:innen, den Status quo des eigenen Lebensstandards zu halten

Die Instrumente der sozialen Sicherheit haben die Aufgabe, bei Wegfall des gewohnten Einkommens den Lebensstandard zu erhalten und vor Wohlstandsverlust zu schützen. Vor diesem Hintergrund beurteilen die Teilnehmer:innen die Beteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Steuer- und Sozialpolitik als zentral. In Partizipation und Mitgestaltung wird nicht nur eine grosse Hebelkraft für die Durchsetzung von Fairness verortet, sondern auch die grösste Verantwortung der Bürger:innen gesehen. Der Grad der Informiertheit spielt für die Mitgestaltung eine wichtige Rolle.