Carte Blanche von Przemyslaw Brandt, Doktorand: Wenn die Heiratsstrafe droht

Die Heiratsstrafe soll abgeschafft werden und hierfür liegen zwei Vorschläge auf dem Tisch. Auch wenn dieses Ziel mit der Individualbesteuerung erreicht wird, müssen bestimmte Personengruppen zusätzliche Steuerbelastungen erwarten.

Bevor Paare eine Ehe eingehen, sollten sie einen Taschenrechner zur Hand nehmen. Es kann nämlich durchaus sein, dass sie aufgrund ihres neuen Zivilstandes einen finanziellen Nachteil zu erwarten haben. In diesem Zusammenhang wird von der sogenannten Heiratsstrafe gesprochen.

«Bevor Paare eine Ehe eingehen, sollten sie einen Taschenrechner zur Hand nehmen.»
Przemyslaw Brandt, Doktorand IWP

Bereits seit den 80er Jahren steht unter anderem aus diesem Grund das aktuelle Modell der Ehegattenbesteuerung in der Kritik. Auf kantonaler Ebene wurden in vielen Fällen bereits Massnahmen ergriffen, um diesem Aspekt Rechnung zu tragen. Bei den direkten Steuern des Bundes ist die Heiratsstrafe allerdings deutlich sichtbar. In der aktuellen Legislaturperiode nimmt sich die Regierung diesem Thema an und stellt zwei Reformoptionen vor, die in die Vernehmlassung eingebracht wurden.

Individualbesteuerung

Personen werden unabhängig von ihrem Zivilstand besteuert. Die Steuerschuld hängt somit nicht mehr von dem Einkommen des Partners oder der Partnerin ab. Damit wird zusätzlich die Entscheidung zur Arbeitsaufnahme oder Arbeitszeitanpassung vom Verdienst des Partners, der Partnerin entkoppelt. Bisher lohnt sich für die zweitverdienende Person eine Ausweitung der Arbeitszeit nicht unbedingt – insbesondere dann nicht, wenn der erstverdienende Partner oder Partnerin bereits ein hohes Einkommen erzielt. Der Grund hierfür ist, dass der Grenzsteuersatz – also der Steuersatz, der auf den zusätzlich verdienten Franken gezahlt werden muss – bereits durch das Einkommen des Partners beziehungsweise der Partnerin bestimmt wird. Die Einführung der Individualbesteuerung hat allerdings auch Nachteile für Ehepaare, in denen die Einkommen stark ungleich verteilt sind. Ein Alleinverdiener-Haushalt kann dann beispielsweise nicht mehr den höheren Freibetrag bei der Berechnung der Steuerlast anwenden und landet mit seinem Einkommen auf einer höheren Progressionsstufe. Ausserdem kommen Alleinerziehende nicht mehr in den Genuss des für sie vorteilhaften Elterntarifs. Letzteres wird durch eine Erhöhung der Kinderabzüge und einen zusätzlichen Haushaltsabzug für Alleinstehende abgemildert.

«Bisher lohnt sich für die zweitverdienende Person eine Ausweitung der Arbeitszeit nicht unbedingt – insbesondere dann nicht, wenn der erstverdienende Partner oder Partnerin bereits ein hohes Einkommen erzielt.»
Przemyslaw Brandt, Doktorand IWP
Individualbesteuerung mit einem Entlastungsabzug

Der negative Effekt bei Einführung der Individualbesteuerung für ungleich verdienende Partner wird vom zweiten Vorschlag des Finanzdepartements adressiert. So kann der besserverdienende Ehepartner oder Ehepartnerin bis zu 14’500 Franken von seinem zu versteuernden Einkommen als Abzug geltend machen. Dieser Abzug sinkt mit jedem Franken Verdienst des zweitverdienenden Partners oder Partnerin.

Heiratsstrafe abgeschafft

Beide Vorschläge führen dazu, dass die Heiratsstrafe abgeschafft wird. Gleichzeitig profitieren nicht alle Haushalte von der Einführung des Individualsplittings. Ein besonderes Augenmerk sollte auf Alleinerziehende gelegt werden. Die Erhöhung des Kinderabzugspostens wird die negativen Auswirkungen durch den Wegfall des höheren Freibetrags nicht komplett auffangen können.

«Beide Vorschläge führen dazu, dass die Heiratsstrafe abgeschafft wird.»
Przemyslaw Brandt, Doktorand IWP
Reaktionen der Kantone

Die Reaktionen der Kantone auf die vorgeschlagene Einführung der Individualbesteuerung fallen jedoch tendenziell negativ aus. Die Argumente reichen hier von einem grossen zu erwartenden bürokratischen Aufwand bis zu dem Hinweis, dass die Kantone bereits wirksame Mechanismen eingeführt haben, die eine Heiratsstrafe verhindern und somit als Blaupause für die Einkommensbesteuerung auf Bundesebene gelten können.

All das zeigt: Die Steuermaterie ist komplex, die Stimmen zahlreich. Der Einführung der Individualbesteuerung dürften viele Hürden im Wege stehen.

Brandt_Przemyslaw
Über die Person

Przemyslaw Brandt arbeitet als wissenschaftlicher Assistent und Doktorand am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) und der Universität Luzern. Er entwickelt ein Mikrosimulationsmodell des Schweizer Steuer- und Transfersystems, mit dem die Auswirkungen von fiskalpolitischen Reformen dargestellt werden. Zuvor war er als Fachreferent am ifo Institut in München angestellt und arbeitete dort am Geschäftsklimaindikator, den Konjunkturprognosen und dem dortigen Mikrosimulationsmodell mit.