Carte Blanche von Matthias Leuenberger, Länderpräsident Novartis Schweiz: Die Bilateralen mit der EU müssen gerettet werden
Die Bilateralen Verträge sind für die Schweizer Wirtschaft aus mehreren Gründen zentral: Sie ermöglichen einen niederschwelligen Zugang zu einem grossen Absatz- und Arbeitsmarkt und sind die Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit in der akademischen Forschung und Entwicklung.
Für ein kleines ressourcenarmes Land wie die Schweiz ist der Aussenhandel von enormer Bedeutung: Zwei von fünf Franken verdient die Schweiz dank des Austausches mit dem Ausland. Dabei sind zwar auch die aufstrebenden Märkte in Asien oder die USA sehr wichtig, die Bedeutung der EU-Märkte ist und bleibt aber überragend. Heute ist die EU Abnehmerin von 51 Prozent aller exportierten Schweizer Dienstleistungen und Waren (und 59 Prozent der Novartis Exporte aus der Schweiz). Deshalb ist es essenziell, dass die Schweiz ihren Marktzugang in Europa nicht verschlechtert.
Für die Pharmaindustrie sind insbesondere die Verträge über die technischen Handelshemmnisse (Zugang zu den Absatzmärkten), die Personenfreizügigkeit (Zugang zu den Arbeitsmärkten) und der Zugang zur Forschung (Zugang zu Horizon Europe) entscheidend.
Ein Wegfall des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse (Mutual Recognition Agreement, MRA) würde dazu führen, dass Qualitätskontrollen, die heute vor dem Export in der Schweiz durchgeführt und von allen EU-Staaten anerkannt werden, schlimmstenfalls in jedem der 27 EU-Länder erneut durchgeführt werden müssten. Zudem würde die Zahl der Inspektionen in Schweizer Produktionsstätten markant ansteigen. Zusammen würden diese Handelshemmnisse Mehrkosten in der Höhe von geschätzt jährlich 500 Millionen Franken verursachen. Weil die EU aktuell ihre Gesetzgebung für Arzneimittel überarbeitet und nach deren Implementierung voraussichtlich das MRA nicht mehr aktualisieren wird, ist diese Gefahr sehr konkret.
Eine weitere zentrale Errungenschaft der Bilateralen I ist die unbürokratische Rekrutierung von Fachkräften auch aus dem EU-Raum. Gerade für die forschende Pharmaindustrie mit hochspezialisierten Arbeitsplätzen ist der Zugang zu Talenten sehr wichtig. Ein Wegfall des Abkommens würde die Rekrutierung von dringend benötigten Fachkräften deutlich erschweren und verteuern und das Risko von Verlagerungen ins Ausland erhöhen. Bei Novartis sind rund ein Drittel der Beschäftigten Grenzgängerinnen und Grenzgänger, über die Hälfte der Beschäftigten stammt aus dem EU-Raum.
Der Abbruch der Verhandlungen zum Institutionellen Rahmenabkommen trug auch dazu bei, dass die Schweiz beim Forschungsprogramm Horizon Europe bis auf weiteres nur noch als Drittstaat gilt. Für die Schweizer Forschungslandschaft ist das ein herber Rückschlag. Bei Horizon Europe werden von 2021 bis 2027 knapp 100 Milliarden Euro in wissenschaftliche Forschung investiert werden. Die Schweizer Forschung darf aus dem wichtigsten Forschungsförderprogramm der Welt nicht ausgeschlossen bleiben. Nota bene: Mit dem Ausschluss wird auch der Forschungsstandort Europa geschwächt, zumal die Forschung in der Schweizer zur Weltspritze gehört!
Novartis und die Schweizer Pharmaindustrie fordern, dass der Bundesrat nun rasch ein Verhandlungsmandat erteilt, um den wichtigen bilateralen Weg mit der EU zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Matthias Leuenberger ist Länderpräsident der Novartis Schweiz sowie Präsident von scienceindustries und Vize-Präsident von economiesuisse.
In einem Satz: Die Bilateralen, oder genauer gesagt die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU), regeln die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene.