Nachgefragt bei Andreas Christen: Wo steht die Altersvorsorge?
Über die Zukunft der Altersvorsorge wird viel diskutiert, doch wie sieht sie heute aus? Mit eigenen Analysen hat Swiss Life einen Einblick in die finanzielle Situation der Menschen im Ruhestand gewonnen. Andreas Christen, Vorsorgeforscher bei Swiss Life, beantwortet unsere Fragen zur Studie.
Die erfreuliche Tatsache, dass die Gesellschaft immer älter wird, stellt das Rentensystem vor Herausforderungen. Die Bevölkerung ist sich dieser Entwicklung bewusst, wie eine Studie von Swiss Life zeigt. Wie die Altersvorsorge basierend auf der AHV, der beruflichen Vorsorge und privatem Alterssparen in Zukunft angepasst werden soll, ist jedoch offen. Andreas Christen, Vorsorgeforscher bei Swiss Life, erzählt uns, wie Senior:innen heute im «goldenen Ruhestand» leben und denken. Herr Christen, was hat es mit dem «goldenen» Ruhestand auf sich? Woher kommt dieser Begriff?
Andreas Christen: Der «goldene Ruhestand» ist ein Wortspiel und bezieht sich auf eine Kombination der beiden Sprachbilder «goldener Herbst» und «Herbst des Lebens». Wir sprechen in unseren Studien zur Finanzsituation im Rentenalter aber vor allem deswegen vom «goldenen Ruhestand», weil es den meisten Pensionierten in den letzten Jahren finanziell gut ging. Das zeigen zum Beispiel Umfragen zur finanziellen Zufriedenheit: Eine grosse Mehrheit der Bevölkerung ab 65 fühlt sich finanziell selbstbestimmt und Pensionierte sind finanziell durchschnittlich zufriedener als die Bevölkerung im Erwerbsalter – besonders im Bereich der tieferen Einkommen. Es gilt allerdings erstens zu berücksichtigen, dass auch heute nicht alle Rentnerinnen und Rentner finanziell gut aufgestellt sind und zweitens, dass diese positive Momentaufnahme nicht ohne weiteres auf die Zukunft übertragen werden kann. Denn unser Altersvorsorgesystem steht demografisch bedingt vor Herausforderungen.
Obwohl die Sparquote nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sinkt, zeigte die Swiss Life-Studie, dass Pensionierte häufig doch noch Vermögen aufbauen, statt es aufzubrauchen. Wie kann das sein, Herr Christen?
Andreas Christen: In der Theorie spart man in der beruflichen aktiven Phase Vermögen an, um dieses im Ruhestand bis zum Tod zu verzehren. Unsere Studie zeigt allerdings, wie andere zuvor, dass das durchschnittlich recht hohe Vermögen der Pensionierten in der Regel nicht verzehrt wird. Etwa ein Drittel kann im Rentenalter sogar weiter Geld auf die Seite legen. Das sind zwar eher Haushalte mit höherem Einkommen und Vermögen. Aber alles in allem beobachtet man in den meisten Bevölkerungsgruppen, dass im Rentenalter tendenziell mehr Haushalte weitersparen konnten, als dass sie Erspartes verzehrten. Diese Daten beziehen sich allerdings nur auf Personen, die noch zu Hause wohnen. Bei einem Pflegeheimaufenthalt sieht die Situation schnell anders aus.
Was haben die Pensionierten denn mit dem Vermögen vor, wenn sie es nicht aufbrauchen?
Andreas Christen: Unsere Befragung zeigt, dass eine Mehrheit der Pensionierten einen Teil des Vermögens vererben möchte. Weiter sehen wir, dass ein Zusammenhang zwischen der Sparneigung (ob man im Rentenalter weiter Vermögen aufbaut oder nicht) und dem Vererbungswunsch besteht. Anders gesagt: Wer vererben möchte, hat im Rentenalter eine höhere Wahrscheinlichkeit, weiter zu sparen.
Bevor man zum Vererben kommt, sollte das Ersparte für den letzten Teil des Lebens reichen. Durch einen hohen Gesundheitsstandard und wissenschaftliche sowie medizinische Errungenschaften wird unsere Gesellschaft immer älter. Im Jahr 2021 lag gemäss Bundesamt für Statistik die Lebenserwartung bei Geburt für Männer im Schnitt bei 81.6 Jahren und für Frauen sogar bei 85.7 Jahren. Dass mindestens jede zweite Person, die bis 65 lebt, das letzte Lebensjahr teilweise oder ganz im Pflegeheim verbringt, ist daher nicht erstaunlich. Ist man sich dessen bewusst?
Andreas Christen: Knapp jede zweite Person verbringt vor dem Tod Zeit im Heim. Ein durchschnittlicher Heimaufenthalt beträgt knapp drei Jahre. Aus diesen beiden Zahlen lässt sich grob ableiten, dass man im Schnitt mit einem Heimaufenthalt von 1 bis 1.5 Jahren rechnen muss. Allerdings zeigt unsere Befragung, dass nur 20 Prozent der 65- bis 75-Jährigen wirklich davon ausgehen, später auf Pflege angewiesen zu sein. Ausserdem haben sich nur die wenigsten vertieft damit auseinandergesetzt, welche Kosten ein Heimaufenthalt mit sich bringt. Tendenziell wird diese Thematik im frühen Rentenalter damit vermutlich etwas verdrängt.
Das Altersvorsorgesystem steht demografisch bedingt vor Herausforderungen; heutige Erwerbstätige sind pessimistisch, was ihre künftige Altersvorsorge angeht. Was ist Ihr Ratschlag? Müssen wir mehr sparen?
Andreas Christen: Es ist nie falsch, die Altersvorsorge im Rahmen der dritten Säule selbstbestimmt in die Hand zu nehmen – zumindest, wenn die Einkommensverhältnisse dies zulassen. Wer heute mehr auf die Seite legen kann, hat später mehr im Alter. Das Vorsorgesystem steht in der Tat vor demografischen Herausforderungen: Der AHV mussten bereits – zum Beispiel im Rahmen der kürzlich angenommenen Reform AHV 21 – zusätzliche Mittel zugeführt werden. In der zweiten Säule sind die Umwandlungssätze bereits in den letzten Jahren gesunken und angesparte Mittel der dritten Säule müssen länger reichen, weil wir länger leben. Politisch haben wir es in der Hand, das Altersvorsorgesystem zu stabilisieren und das Rentenniveau zu sichern: Dazu müssen wir aber bereit sein, mehr einzuzahlen (sparen, Lohnbeiträge oder Steuern) und/oder länger zu arbeiten. Beides sind Ansätze, die im Rahmen künftiger Reformen der Altersvorsorge berücksichtigt werden sollten.
Andreas Christen ist Ökonom und forscht zu unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Themen. Seit drei Jahren analysiert er als Senior Researcher Vorsorge bei Swiss Life Themen rund um die Altersvorsorge.