Carte Blanche von Monika Bütler, Ökonomin: Wirtschaft verstehen heisst über Wirtschaft reden
Volkswirtschaftliche Zusammenhänge sind keine Hexerei. Dennoch wissen auch gebildete Menschen oft erstaunlich wenig darüber, wie Wirtschaft funktioniert. Die Erfahrungen aus der Pandemie zeigen, dass sich dies ändern lässt.
Noch im Februar 2020 wurde «die Wirtschaft» nicht als Schlüssel zur Bewältigung der Covid19 Pandemie angesehen. Auch in der ersten Wissenschafts-Taskforce, von den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen organisiert, waren die Wirtschaftswissenschaften nicht vertreten. Schnell wurde allerdings der interdisziplinäre Charakter der Krise offensichtlich. Als die Swiss National Covid19 Science Taskforce Ende März 2020 schliesslich ins Leben gerufen wurde, waren die Ökonom:innen dabei mit einer eigenen Expertengruppe, der ich damals vorstehen durfte.
Dennoch musste ich mir einen Schupf geben, den hochkarätigen Kolleg:innen aus der Epidemiologie und Medizin – in meinen Augen eigentlich banale – ökonomische Einsichten zu präsentieren. So zum Beispiel, dass rund die Hälfte des wirtschaftlichen Einbruchs wegen Covid19 der internationalen Entwicklung geschuldet war. Oder dass freiwillige Verhaltensanpassungen der Menschen mindestens so viel zum Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten beitrugen wie die staatlichen Einschränkungen. Oder dass Entschädigungen für betroffene Menschen und Firmen die Bekämpfung der Pandemie wirksam unterstützten.
Die Reaktionen aus der Taskforce überraschten und freuten mich gleichzeitig: Meine Kolleg:innen fanden die ökonomischen Zusammenhänge nicht nur spannend, sie wollten auch noch viel mehr wissen. Ökonomische Konzepte wie Anreize und Externalitäten sowie volkswirtschaftliche Analysen und Daten spielten in den Diskussionen eine immer wichtigere Rolle und fanden Eingang in den Analysen und der Kommunikation der Task Force.
In Erinnerung geblieben aus dieser Zeit ist mir, wie bescheiden das Wissen über (volks)wirtschaftliche Zusammenhänge selbst bei hochgebildeten Menschen ist. Fast noch irritierender fand ich, welch grundlegende Missverständnisse über das Funktionieren der Wirtschaft bestehen. «Die Wirtschaft» wird gleichgesetzt mit Unternehmen, hauptsächlich grossen multinationalen Firmen, sehr oft mit negativer Konnotation. Dass selbst akademisch arbeitenden Ökonom:innen unterstellt wird, dass sie primär an Profitmaximierung interessiert seien, ist nur die logische Konsequenz.
Was mir allerdings auch geblieben ist, wie schnell meine Kolleg:innen ökonomische Argumente verstanden und später in ihre eigenen Überlegungen integrierten. Natürlich ist es immer etwas komplizierter als gedacht, aber wirtschaftliche Zusammenhänge sind keine Quantenphysik. Die von Entscheidungsträgern oder der Öffentlichkeit nachgefragte wirtschaftswissenschaftliche Expertise bedarf meist keiner ausgeklügelter Modelle. Wichtiger sind: Daten einordnen und beschreiben, Ursache-Wirkungsketten aufzeigen, Anreize und Externalitäten erklären, (ökonomischen) Unsinn identifizieren.
Es wäre wünschenswert, wenn volkswirtschaftliche Zusammenhänge schon in den Schulen vermittelt würden. Genauso wichtig scheint mir nach den Erfahrungen in der Pandemie die offene Diskussion zwischen den Disziplinen sowie unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Interessengruppen. Denn eines machen wir eindeutig zu wenig: Über Wirtschaft reden.
Prof. Dr. Dr. hc Monika Bütler ist selbstständige Ökonomin und Honorarprofessorin an der Universität St. Gallen (HSG). Bis Januar 2021 war sie dort als Ordinaria für Volkswirtschaftslehre und Prorektorin Weiterbildung/Institute tätig.