Marktwirtschaft: Balance zwischen Wettbewerb und sozialem Ausgleich
Die Schweiz hat eine Marktwirtschaft, die das Wettbewerbsprinzip mit sozialem Ausgleich verbindet. Ziel ist eine Volkswirtschaft, in der alle Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können und jede und jeder nach seinen Kräften zum gemeinsamen Wohlstand beiträgt.
Ein Netz der sozialen Absicherung hilft jenen, die vorübergehend oder dauerhaft keiner Erwerbsarbeit nachgehen können. Der soziale Ausgleich ist der Nährboden einer leistungsfähigen Volkswirtschaft: Er schafft gesellschaftliche Teilhabe, ermöglicht Aus- und Weiterbildung, überbrückt Notlagen, stärkt den Konsum. Der soziale Ausgleich schuf jenen breiten Mittelstand, dem sich heute so viele Bürger:innen zugehörig fühlen.
Die Schweiz hat dank eines liberalen Arbeitsrechts einen flexiblen und offenen Arbeitsmarkt. Arbeitgeber können schnell auf konjunkturelle Schwankungen reagieren, aber auch neue wirtschaftliche Chancen schnell nutzen. Die Beschäftigten profitieren von einem sich dynamisch entwickelnden Stellenangebot und guten Löhnen. Dank einer gelebten Sozialpartnerschaft sind Streikmassnahmen selten. Anders als etwa Deutschland kommt die Schweiz ohne einen national verbindlichen Mindestlohn aus. Die hohe Erwerbsquote von gut über 80 Prozent bei den Personen im erwerbsfähigen Alter gewährleistet hierzulande einer breiten Bevölkerung Teilhabe am Erwerbsleben und sichert die Finanzierung der Sozialwerke. Das Fundament für zukunftsfähige Arbeitsplätze und eine lebendige Gründerszene sind eine solide Schulbildung und gute Weiterbildungsangebote.
Die Regelungen des Arbeitsmarktes einschliesslich der Schutzbestimmungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen immer wieder an die sich verändernde Arbeitswelt angepasst werden. ‹Flankierende Massnahmen› schützen die Schweizer Beschäftigten im Zuge der verstärkten Einbindung in den europäischen Binnenmarkt vor Lohndumping und tieferen Sozialstandards. Aktuell verändert der zunehmende Einsatz digitaler Technologien das Arbeitsleben radikal. Homeoffice, Plattformwirtschaft und Temporärarbeit sind nur drei Stichworte. Um dem Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu entsprechen, müssen Arbeitsverhältnisse neu ausgestaltet werden.
Die Erwerbstätigen finanzieren gemeinsam mit den Unternehmen die Sozialwerke, von denen sie als Versicherte im Bedarfsfall profitieren: AHV und BVG für die Altersvorsorge, Arbeitslosen- und Invalidenversicherung, aber auch die EO, die den Erwerbsausfall für Mütter, Väter und Dienstleistende deckt. Die Familienzulagen werden durch die Arbeitgeber finanziert, die Krankenversicherung im Gegenzug lastet auf den Versicherten, abgemildert durch öffentlich finanzierte Prämienverbilligungen. Eine Herausforderung besteht heute darin sicherzustellen, dass Sozialwerke wie die AHV durch die demografische Entwicklung nicht überlastet werden.
Der rechtliche Rahmen für Sozialversicherungen und andere Instrumente des sozialen Ausgleichs unterliegt einem stetigen Reformprozess. Ein wichtiger Schritt war im September 2022 das Votum der Stimmberechtigten für eine Angleichung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Zwei neue Volksinitiativen stehen an: die eine will das Rentenalter auf 66 Jahre anheben, die andere eine 13. AHV-Rente einführen. Parallel läuft eine Reform der beruflichen Vorsorge mit dem Ziel, die Renten längerfristig zu gewährleisten und Teilzeitbeschäftigte besser abzusichern. Beiträge und Leistungen sind immer wieder neu ins Gleichgewicht zu bringen – das gilt für die sozialen Sicherungssysteme im Bund, aber auch auf die Sozialhilfe und andere Instrumente des sozialen Ausgleichs in der Zuständigkeit von Kantonen und Gemeinden.
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Bildnachweis: Foto von Annie Spratt auf Unsplash