Nachgefragt bei Karin Lenzlinger: Innovation ist nicht kostenlos, aber dringend notwendig

Die Schweizer Wirtschaft hat sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens bekannt. Am 18. Juni 2023 hat die Schweizer Stimmbevölkerung zudem das Klimaschutzgesetz angenommen. Damit ist das Netto-Null-Ziel bis 2050 gesetzlich verankert. Wirtschaft und Gesellschaft sind nun gefordert, Massnahmen zur Dekarbonisierung verstärkt anzupacken, um die Klimaziele zu erreichen. Karin Lenzlinger, Präsidentin der Zürcher Handelskammer, zeigt auf, wie uns die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes in Zukunft beschäftigen wird und was mögliche Lösungen sind.

Der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, das sogenannte Klimaschutzgesetz (Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit), wurde am Abstimmungssonntag vom 18. Juni mit gut 59% Ja-Stimmen klar angenommen. Die konkreten Massnahmen, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, müssen in weiteren Gesetzen, insbesondere im CO2-Gesetz, konkretisiert werden. Unabhängig davon haben viele Unternehmen bereits gehandelt und Projekte zur Senkung des CO2-Ausstosses initiiert und teilweise umgesetzt. Das Ziel «Netto-Null» bis 2050 ist jedoch ambitiös. Sind wir auf dem richtigen Weg?

Karin Lenzlinger: Mit der Annahme des Klimaschutzgesetz haben wir bereits die ersten Massnahmen beschlossen. Das Klimaschutzgesetz hat aber keinen Schönheitswettbewerb gewonnen, insbesondere nicht aus einer wirtschaftsliberalen Sicht.

«Im Weiteren sind konkrete Fördermassnahmen beschlossen worden, welche die Entwicklung von innovativen und effizienten Technologien unterstützen. Ich bin der Überzeugung, dass dies der richtige Weg ist. Denn anstelle von innovationsverhindernden Verboten wird ein pragmatischer und lösungsorientierter Ansatz verfolgt. »
Karin Lenzlinger, Präsidentin Zürcher Handelskammer

Das Gesetz schafft aber mehr Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen, die dadurch ihr Engagement für den Klimaschutz weiter ausbauen werden. Im Weiteren sind konkrete Fördermassnahmen beschlossen worden, welche die Entwicklung von innovativen und effizienten Technologien unterstützen. Ich bin der Überzeugung, dass dies der richtige Weg ist. Denn anstelle von innovationsverhindernden Verboten wird ein pragmatischer und lösungsorientierter Ansatz verfolgt. Insbesondere mit Blick auf eine mögliche Energiemangellage und geopolitische Verwerfungen sind Massnahmen für weniger Abhängigkeit der Schweiz von Energieimporten sehr zu begrüssen.

«Insbesondere mit Blick auf eine mögliche Energiemangellage und geopolitische Verwerfungen sind Massnahmen für weniger Abhängigkeit der Schweiz von Energieimporten sehr zu begrüssen.»
Karin Lenzlinger, Präsidentin Zürcher Handelskammer

Wie sehen Sie es mit der Verantwortung für die Erreichung dieses Ziels? Welche Verantwortung trägt die Wirtschaft aufgrund ihrer Tätigkeit und ihrer Mittel? Darf man die Wirtschaft stärker in die Verantwortung ziehen als einzelne Bürgerinnen und Bürger?

Karin Lenzlinger: Kaum jemand bestreitet, dass wir – insbesondere auch in der Schweiz mit ihrem hohen Wohlstand – mit einem immensen globalen Klimaproblem konfrontiert sind. Diese Herausforderung können wir nur gemeinsam schaffen. Daher müssen alle, die Wirtschaft sowie die einzelnen Bürgerinnen und Bürger, Verantwortung übernehmen und einen entsprechend angemessenen Beitrag leisten, denn die Wirtschaft ist kein vom Rest der Gesellschaft abgeschottetes Ökosystem. Als Bürgerinnen und Bürger gehören wir zur Wirtschaft. Wir arbeiten, beziehen einen Lohn und wir konsumieren. Wir fördern die Wirtschaft und wir profitieren von ihrer Wertschöpfung. Kurz gesagt: Wir sind die Wirtschaft. Die Wirtschaft hat sich dabei immer als Teil der Lösung gesehen und ist sich weitgehend bewusst, dass sie eine besondere Verantwortung übernehmen muss. Dies hat die Abstimmungsempfehlung der Wirtschaftsverbände für das Klimaschutzgesetz klar gezeigt.

«Die Wirtschaft hat sich dabei immer als Teil der Lösung gesehen und ist sich weitgehend bewusst, dass sie eine besondere Verantwortung übernehmen muss. Dies hat die Abstimmungsempfehlung der Wirtschaftsverbände für das Klimaschutzgesetz klar gezeigt. »
Karin Lenzlinger, Präsidentin Zürcher Handelskammer

Die Wirtschaft ist schon seit Jahren daran, ihren ökologischen Fussabdruck zu senken und hat die gesetzlichen Klimaziele bis heute erreicht bzw. teilweise unterschritten. Tut man der Wirtschaft im Alltag unrecht? Ist sich die Gesellschaft zu wenig bewusst, was viele Betriebe bereits tun, um die Energieeffizienz zu erhöhen und den CO2-Ausstoss zu reduzieren?

Karin Lenzlinger: Sämtliche kantonalen Handelskammern, economiesuisse, swissmem oder der Schweizer Baumeisterverband, um nur einige Organisationen zu nennen, haben sich für das Klimaschutzgesetz und das Netto-Null-Ziel 2050 stark gemacht. Das Engagement der Wirtschaft ist nicht neu: 1999 haben die Verbände der Schweizer Wirtschaft gemeinsam den Verein Energie-Agentur der Wirtschaft gegründet. Dieser entwickelt für Unternehmen individuelle Lösungen, um deren Energie- und Ressourceneffizienz kontinuierlich zu steigern. Im Jahr 2022 haben die teilnehmenden Unternehmen so den jährlichen CO2-Verbrauch von über 870’000 Einwohnerinnen und Einwohnern in der Schweiz eingespart, um nur ein Beispiel zu nennen. So hat die Schweizer Industrie als einziger Sektor die bisherigen Klimaziele erfüllt.

 

Das Bewusstsein für den Beitrag der Wirtschaft scheint aber leider wirklich nicht so vorhanden zu sein. Obwohl es genau dieses Engagement ist, was im Kampf gegen den Klimawandel tatsächlich zählt. Mediale Aufmerksamkeit allein reicht noch nicht aus.

Innovation ist ein zentraler Treiber der Dekarbonisierung. Um unseren hohen Lebensstandard weiterhin zu halten und gleichzeitig die Natur zu schonen, sind wir auf noch nicht oder noch nicht flächendeckend vorhandene Technologien angewiesen. Welche Innovationen haben das Potenzial die Dekarbonisierung voranzutreiben?

Karin Lenzlinger: Ich möchte nicht das Potenzial einzelner Innovationen beurteilen. Wichtig ist, dass wir offen bleiben für neue Lösungsansätze, auf Verbote verzichten und keine Technologien bevorzugt behandeln. Wir können nicht vorhersehen, was technisch möglich sein wird und welche Ideen unsere hervorragenden Forscherinnen und Forscher haben werden. Daher müssen Forschung und Innovation gefördert werden, um die Technologien mit dem grössten Potenzial für eine erfolgreiche Dekarbonisierung unserer Gesellschaft zu finden.

«Erklären wir und diskutieren wir darüber, warum die Energiewende und der Klimaschutz so wichtig sind, denn wir müssen ans Ziel. Diese Diskussionen sind nicht einfach, das ist ganz klar. Ich bin aber der Ansicht, dass sie alternativlos sind, auch weil wir wollen, dass andere Länder dies auch tun.»
Karin Lenzlinger, Präsidentin Zürcher Handelskammer

Klimafragen und neue Technologien können zu polarisierenden Diskussionen führen und Ängste wecken, dass Energie und Strom teurer werden. Wie schaffen wir es, alle mitzunehmen auf diese Reise? Wie kommt uns allen die Energiewende zugute?

Karin Lenzlinger: Wir sollten aufhören, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen. Die Lösungen des Klimaproblems sind nicht kostenlos zu haben. Aber Angstmacherei mit der Nennung horrender Beträge, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen – insbesondere einer Abschottung der Schweiz – zustande kommen, ist völlig daneben. Sie polarisiert die Bevölkerung zunehmend. Wir müssen uns deshalb alle aktiv bemühen, einen offenen Dialog zu führen und Sorgen und Befürchtungen ernst nehmen. Gleichzeitig sollten wir in unsere demokratischen Prozesse und die Innovationsfähigkeit von Forschung und Wirtschaft mehr Vertrauen haben. Erklären wir und diskutieren wir darüber, warum die Energiewende und der Klimaschutz so wichtig sind, denn wir müssen ans Ziel. Diese Diskussionen sind nicht einfach, das ist ganz klar. Ich bin aber der Ansicht, dass sie alternativlos sind, auch weil wir wollen, dass andere Länder dies auch tun.